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Hans Jürgen Roth: Meine Begegnungen mit Joseph Ratzinger

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Hans-Jürgen Roth Roth bei der Übergabe seines Romführers 1995 an Kardinal Ratzinger.von Hans Jürgen Roth

Beim letzten Sonntags-Angelus von Papst Benedikt XVI. in Rom wurde mir noch einmal sehr bewusst, was mir dieser Mensch bedeutet. Ich glaube, niemand in unserer Stadt hatte das Glück, ihm so persönlich wie intensiv begegnen zu dürfen. Er war mein bester und modernster Professor, zugleich der, welcher mich am meisten geprägt hat. Er hat uns Studenten in Bonn Mut gemacht, modern zu denken und Blicke über Zäune zu wagen. Er war der erste, der mich hinführte zum Dialog mit den großen Weltreligionen. Er war der erste, der mich – damals etwas gewagt - mit dem Denken des Atheismus vertraut machte, und mir den Anstoß gab, mich mit dessen nachdenkenswerten Impulsen zu beschäftigen. Damals ging ich zu ihm, um ihn zu fragen, ob ich bei ihm meine wissenschaftliche Arbeit schreiben dürfte über mein Lieblingsbuch. Ich wollte mich mit dem von Dostojewski in seinem Roman „Brüder Karamassoff“ beschriebenem Atheismus auseinandersetzen, ein damals völlig ungewöhnliches Thema, zumal auch noch in Anlehnung an einen Roman. Mein Professor aber ermutigte mich ausdrücklich dazu, ja schien geradezu selbst fasziniert zu sein von dem von mir gewählten Thema: „Atheismus als Aufbruch zu Gott“.

Ich war einer von nur zwei Studenten, die im Jahre 1962 bei ihm schreiben durften, zugleich der letzte Student der Bonner Uni, denn er betreute mich noch aus freien Stücken weiter, als er – noch während ich an meiner Arbeit schrieb – an die Uni Münster wechselte. Erst später erfuhr ich den Grund dieses plötzlichen Wechsels. Ihm hatte bei der eigenen Habilitationsarbeit der Kokorrektor im München aufs Übelste mitgespielt. Da hatte er sich geschworen: niemals möchte ich so mit meinen Doktoranden umgehen. Als nun aber eben dieses Schicksal einigen Doktoranden durch Ratzingers Kollegen an der Uni Bonn drohte, ist er nach Münster gegangen. Ich habe noch die Briefe aus jener Zeit, unterschrieben mit „ihr ergebener Joseph Ratzinger“, in denen er mir seine Bereitschaft anbot,– wenngleich in Münster nicht mehr zuständig – meine Arbeit dennoch zu beurteilen in der Hoffnung, sein Nachfolger in Bonn werde sich ihm anschließen. Der tat es. So war ich der letzte Student in Bonn, der bei ihm schreiben durfte. ((Der zweite Student des Jahrgangs war übrigens Wilfried Pilz, später Leiter von Jugendhaus Altenberg und dann bis 2011 Leiter des Kindermissionswerkes „Die Sternsinger“ in Aachen.))

In den Seminaren habe ich immer Ratzingers Bescheidenheit geschätzt, sein vorsichtiges Suchen nach Antworten auf unsere Fragen. Das hat mir viel gegeben. Seine Vorlesungen waren klar strukturiert und immer anregend zum Weiterdenken. Wir haben ihm gut zuhören können. Er hat mich angespornt, die Dinge differenziert zu sehen. Drei Jahrzehnte später gestand er mir in Rom: „Ich war euch ja immer nur eine Stunde voraus!“ Das mag nochmals seine Ehrlichkeit und Bescheidenheit unterstreichen.

Ich erinnere mich noch an die Fahrt von uns Priesteramtskandidaten 1965 in Heilige Land. Damals bekamen wir in Jerusalem zu hören: Was habt ihr doch für einen modernen Kardinal auf dem Konzil. Gemeint war Kardinal Frings. Wir konnten uns nur wundern, wussten wir doch, dass er diesen Ruf dem von ihm erwählten Konzilsberater verdankte - Professor Ratzinger.

Nach dem Abitur war ich mir sicher: Arbeit mit der Jugend ja! Aber nie wieder Schule. Dann erlebte ich Schule, damals noch Pflichtprogramm für uns Kapläne, als etwas Wunderbares und die Fragen der Menschen nach religiösen Antworten als etwas Bedrängendes. Da war die Erinnerung an meinen Professor und wie der als Lehrer auf Fragen einging richtungweisend für mich. Ich entschloss mich für die Schullaufbahn, unterrichtete anfangs sogar stellenweise in der Oberstufe mit Ratzinger-Mitschriften, verwendete oft Ratzinger-Texte bei Klausuren, auch zum Abitur.

Als ich dann in den 1990er Jahren mit meinen Schülern und dann auch Religionslehrern (als Schulreferent in Remscheid) Rom zu entdecken begann, war Ratzinger es, der mir dort – mittlerweile „Glaubensminister“ der Weltkirche - Wege und Türen öffnete. „Ihr müsst früh aufstehen, dann kann ich mit euch sprechen“, sagte er zu uns. „Wenn ihr mehr wissen wollt, stelle ich euch meinen Mitarbeiter  vor“, darunter sein „Staatsekretär“, später sein VW-Verkäufer. Das Angebot wurde immer einstimmig angenommen und bedeutete: Frühmesse mit Ratzinger im Campo Santo, danach 20 Minuten Begegnung mit ihm. Am Nachmittag anderthalbstündiges Gespräch mit seinem Spezialisten. Immer durfte gefragt werden ohne jede vorgegebene Zensur! Er hat sich für meinen aus diesen Besuchen der Heiligen Stadt entstandenen Romführer für Schüler und Lehrer interessiert, diesen für uns persönlich signiert, und 1994 hat er mir gar noch persönlich zu Ostern geschrieben. Das alte positive Bild, das ich von meinem ehemaligen in der Sache so klar und doch so bescheiden auftretenden Professor hatte, der so liebenswürdig mit uns umgegangen war, blieb mir weiterhin erhalten, auch wenn er – jetzt aufgestiegen zu höheren Würden – bei vielen zunehmend in die Kritik geraten war. Sein Rücktritt jetzt bestätigt mir noch ein weiteres Mal seine Größe und lässt ihn in meinem Bewusstsein als Impulsgeber fortleben.


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